Deutsche haben immer weniger Sex: Anfang September sorgte das Ergebnis der Studie “Freizeit-Monitor“ für großes Aufsehen. Als Gründe wurden wachsender Freizeitstress und zu große Erwartungshaltungen angeführt. In der Erotik-Community JOYclub mit seinen über drei Millionen Mitgliedern spürt man das auf den ersten Blick nicht. Doch die Community-Manager wollten es genauer wissen und haben 5.000 Mitglieder befragt. Fast jeder zweite Befragte ist der Meinung, die sexuellen Probleme in Deutschland nehmen zu. Ganze 60,9% gaben an, schon einmal das starke Bedürfnis gehabt zu haben, mit jemandem über ihre Sexualprobleme zu sprechen.
Sexualtherapie: Zu selten wahrgenommen und ohne geschützte Berufsbezeichnung
Der Schritt zu einer professionellen Beratung scheint jedoch extrem viel Überwindung zu kosten. Selbst aus der sehr aufgeschlossenen JOYclub-Community haben nur 6% der betroffenen Menschen mit ihrem Problem schon mal einen Sexualtherapeuten aufgesucht. Während der Besuch beim Psychotherapeuten oder dem Personal Coach mittlerweile fast zum guten Ton gehört, ist Sex offenbar immer noch eine große Tabuzone. Die fehlende Transparenz der Branche trägt ihr Übriges dazu bei. Der Begriff Sexualtherapie ist rechtlich nicht geschützt und 70% der Umfrageteilnehmer finden das bedenklich.
Pornos produzieren Langeweile im Bett und Gefühlsminderung im Genital
JOYclub hat hauptberufliche Sexologen, Therapeuten und Coaches mit den Ergebnissen der Umfragen konfrontiert. Auch die Experten spüren den wachsenden Erwartungsdruck. Über die Hälfte der befragten Sexologen gibt an, dass sich jede 2. Frau von Schönheitsidealen zu sehr unter Druck setzen lässt, um ihre Sexualität wirklich genießen zu können. Männer dagegen leiden vor allem unter den Folgen der allzeit verfügbaren Pornografie. Der eine Teil Männer sei enttäuscht, wenn der Sex nicht genau so läuft, wie in Pornofilmen gezeigt. Der andere habe Angst, das sie genauso funktionieren müssen und den Ansprüchen nicht gerecht werden können.
Sexualcoach Claudia Elizabeth Huber sagt:
Pornos produzieren Langeweile im Bett und Gefühlsminderung im Genital, da Menschen heutzutage eher nachstellen, als selbst zu probieren und zu spüren.
Dr. Michael Petery ergänzt:
Pornografie ist so etwas wie sexuelle Märchenliteratur: das kann schön und nett anzuschauen zu sein, hat aber mit der Realität nur sehr wenig zu tun. Und da liegt das Problem: wenn wir unser eigenes Sexualleben nach den Vorstellungen und Drehbüchern normieren wollen, nach denen Pornos gedreht werden.
Menschen, die regelmäßig Sex haben, sind glücklicher
Vor allem Männer würden sich häufig viel zu spät mit ihren Problemen an Experten wenden. Entsprechend wichtig sei es, am Image der Sexualtherapie zu arbeiten. Dr. Daniel Vonwil, Sexological Bodyworker aus Freiburg:
Sexualität ist ein heikles und immer noch mit Tabus besetztes Thema. Nicht nur für die Klienten, auch für viele Therapeuten. Wenn sich ein Therapeut in dem Thema nicht wohl fühlt und den Klienten nicht die Sicherheit vermitteln kann, dass er/sie mit dem Thema Sexualität willkommen ist, öffnen sich die Klienten nicht.
Sexualberaterin Doris Kaiser glaubt, dass
immer noch der Mythos existiert, dass Sex von ganz alleine funktionieren muss. Da nicht darüber gesprochen wird, glauben Betroffene oft, sie seien die Einzigen mit so einem Problem und schämen sich.
Ein wichtiges Instrument, mehr Menschen zu einer Therapie zu bewegen, könnte der Schutz einer Berufsbezeichnung sein. Vor allem aber braucht es einen offeneren Umgang mit dem Thema, der über Erektionsstörungen hinausgeht. Die Sorgen, Ängste und Bedürfnisse der Menschen sind weitaus größer. Und sie zu lösen, muss der Gesellschaft ein Bedürfnis sein. Denn da sind sich alle Experten einig: Menschen, die regelmäßig Sex haben, sind glücklicher als Menschen, die selten Sex haben.